Text: Dr. Holger Birkholz, Dresden 2015

Text: Dr. Holger Birkholz, Dresden 2015
Zeichenindividualisten
Zur Malerei von Christian Thamm


Gemalte Schrifttafeln sind in unseren Städten sehr selten geworden. Dass dies einmal anders war, kann man erahnen, wenn man an einer alten Hauswand
noch ein längst verblichenes, gemaltes Werbebild sieht. Seine Farben sind unter dem Schmutz grau geworden und der Putz ist stellenweise abgeplatzt.
Die großen Plakate heute sind auf Papier oder Planen gedruckt, präzise in Motiven und Umrissen. Am Computer entworfen findet sich die Exaktheit der Technik 
selbstverständlich auch noch im größten Print. Werbung beschränkt sich kaum auf Schrift, ist selten nur typographisch, sondern nutzt die Möglichkeiten und verbindet 
sprachliche Slogans mit ansprechenden Bildern. Auf riesigen LED Bildschirmen geraten die Bilder zunehmend in Bewegung, erhellen die Nacht und weisen 
so in die Zukunft, auf einen nie abreißenden Informations- und Advertisingstream.

Christian Thamm knüpft mit seiner Malerei an eine Auseinandersetzung mit Schrift an, die aus dem schnellen Fluss der sich ständig neu generierenden Zeichen
aussteigt und stattdessen ihre gestalterischen Prinzipien befragt. Jeder Buchstabe erhält seine Form aus malerischen Erwägungen und sucht nach
seiner Begründung im Bildgefüge. Thamm gliedert die Bildfläche in Zonen, die teilweise durch große Zeichenformen bestimmt werden und sich gegenüber
anderen Bereichen abgrenzen, in denen kleinere Zeichen gruppiert erscheinen. Die Verbindung von Typographie und Malerei zeigt sich in ihrem gemeinsamen
Interesse für eine spannungsvolle Flächenaufteilung, die Aufmerksamkeit garantieren soll. So entsteht Ruhe und Verlässlichkeit in den großen Elementen,
Beweglichkeit und Abwechslung in den kleinen. Dieses Prinzip lässt sich unter anderem auf den Konstruktivismus zurückführen und das Interesse von Künstlern
wie El Lissitzky oder László Moholy Nagy an der Typographie.Thamm bleibt bei seinem Interesse für die Schrift jedoch immer Maler. Das zeigt sich sowohl
im Farbauftrag als auch in der Farbwahl. Dabei spielen teilweise rationale Erwägungen eine Rolle; so baut der Künstler einige seiner Bilder aus „Single Stroke Lettern“ auf,
bei denen mit möglichst einem Zug und ausreichend Farbe im Pinsel der einzelne Buchstabe gemalt wird. Fläche und Farbe bilden eine konkrete Einheit.
Zum Teil verwendet Thamm Schablonen, die eine einfache Wiederholung von Zeichen ermöglicht, aus denen ein ornamentales Geflecht entsteht.
Im Spektrum der Farben zeigen sich, neben miteinander harmonierenden und aufeinander abgestimmten Nuancen, immer wieder auch leuchtende Töne
Sie werden oft durch breite Konturen gefasst, deren Farbwerte so hell oder dunkel werden, dass sie nahezu weiß oder schwarz wirken und darin
die graphische Struktur der Bilder unterstreichen. Derart abgefangen sprengen die strahlenden Farben den Bildraum nicht, sondern fügen sich ein.
Die Kontur betont zudem den Buchstaben in seiner individuellen Gestalt. Das wird besonders deutlich in Bildern, die aus nur einem Zeichenkörper bestehen.

Daneben stehen Bilder mit einer sprachlichen Botschaft, gezielt gewählten Worten oder Slogans, die der bildnerischen Bedeutung der Zeichen eine textliche hinzufügen.
Thamm erweist dich dabei zum Teil spielerisch, indem er ausgerechnet das Wort „Kontrolle“, das den rationalen Charakter in vielen seiner Bilder beschreiben könnte,
in einer verschnörkelten Schrift und in kontrastreichen Farben malt. Manchmal erschwert die Anordnung der Zeichen ihre Lesbarkeit und relativiert die textliche Bedeutung.
So setzen sich die Buchstabenformen, die optisch hinter zwei zueinander gedreht gesetzten „knows“ zu liegen scheinen, nur intuitiv zu einem „one“ zusammen.
Das „no one knows“ reflektiert somit auch die Willkür in der Beziehung zwischen Zeichen und Bedeutung, die unter dem Begriff der Arbitrarität in der Semiotik untersucht wird.
Für die Malerei Thamms hat dies Konsequenzen wenn es um die Frage nach einer inhaltlichen Bedeutung geht, die durch die sprachlichen Zeichen vermittelt wird.
Der Maler stellt ihr die konkrete Präsenz der Flächenform des Zeichens gegenüber. Er untersucht ihre Gestalt als eigenständiges Bild im Spannungsfeld zwischen
der Wiederholbarkeit in einem Zeichensystem oder Ornament einerseits und der Singularität der Form bei jeder Wiederholung andererseits. Auch wenn ein Buchstabe
in gleicher Gestalt wieder gemalt wird, ist er doch nicht derselbe. Spuren des Malerischen, der Pinselstrich oder die Unebenheiten des durch die Schablone getupften
Farbauftrags beanspruchen für ihn eine Individualität der Erscheinung.

Im Ornament setzt Thamm die individuell ungleichmäßige Form des Einzelelements gegen die potentiell unendlich fortsetzbare Repetition der immer gleichen Struktur,
der jedoch in der Regel durch das Bildformat Grenzen gesetzt sind. Unter den Bedingungen der Virtualität digitaler Repräsentationsmedien stellt sich dieses Problem nicht,
hier sind die Unendlichkeit und damit der weltumspannende Anspruch des Ornaments scheinbar möglich. Einen Ausschnitt davon bietet das allerdings begrenzte Motiv auf dem Titelblatt.
Malerei in virtueller Form expandiert über die durch den Maler räumlich und körperlich beherrschbaren Dimensionen hinaus.


Dr. Holger Birkholz, Dresden 2015